Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Im Kräuterpark von Altenau 15.09.2018 Inzwischen ist es schon vier Jahre her, dass uns der Zufall ausgerechnet in den Harz entführt hat. Erst im Nachhinein hat sich das Wagnis als wunderbare Fügung und lebenswerte Chance erwiesen. Heimat ist kein Ort, glaube ich, sondern ein Wohlgefühl im Einklang mit den Lebensumständen. Plötzlich sind die Möglichkeiten zahlreicher als die Jahre, die mir noch bleiben, sie alle zu entdecken. Ob Halberstadt oder Wernigerode, das ist nicht wichtig. Ich habe den Harz für mich entdeckt, eine Schatztruhe Natur, gefüllt mit alten Geheimnissen und neuen Perlen. Es steht mir frei, jederzeit auf Schatzsuche zu gehen und reich beschenkt zurückzukehren. Ich darf leben, wohin andere fahren, um Urlaub zu machen oder Erholung zu suchen. Ich bin reich beschenkt. Sehr schnell hat es mir gefallen, an den Nordhängen des kleinen Mittelgebirges in den Wald und durch die Serpentinen in die Höhe zu fahren. Dass man an der Südseite wieder runterfahren und plötzlich im „Westen“ landen kann, hat den Erlebnishorizont um eine weitere Komponente erweitert. Vom Örtchen Altenau (450 Meter) geht es steil und durch zahlreiche Kurven aufwärts bis Torfhaus (800 Meter). Im Winter, wenn sich der Schnee an den Straßenrändern auftürmt, ist das ein besonderes Erlebnis. In der kalten Jahreszeit fuhr ich dort zum ersten Mal, vom Okertal kommend, entlang. Ein Jahr später und im Spätsommer rolle ich diesmal die Piste abwärts bis Altenau. Es gibt einen duftigen Grund im Tal. Die Vorhersehung hatte für mich keinen „grünen Daumen“ geplant und die Liebe zur Gartenarbeit ist wohl auch im Eilzugtempo an mir vorbei gereicht worden. Allerdings lehrte uns an der Penne eine sehr kluge Biologielehrerin die Grundlagen der Botanik. Auf seltsame Weise musste es Gisela Schuster, die auch unsere Klassenlehrerin war, irgendwie gelungen sein, mir außer der lateinischen Bezeichnung für das Gänseblümchen, auch noch die Liebe zur Natur und die Achtung allen Lebens mit auf den Weg zu geben. Wenn ich oben im Harz durch die Wälder streife, muss ich manchmal auch an Gisela denken. Ich schnappe meine Kamera, halte die Linse einer Pflanze vor ihre Blüte und würde sie fragen, was ich da gerade staunend ablichte. Heute stehe ich nun vor dem Eingang zum Kräutergarten in Altenau und aus einem ganz bestimmten Grund wandelt Gisela wieder gedanklich an meiner Seite. Ich trete in eine Art Foyer, das mich an frühere Eisenbahnschalter in alten Bahnhöfen erinnert, durch die man hindurch laufen musste. Danach schaue ich in eine andere Welt. Das Tal gehört immer noch zum Harz und draußen jagen Fahrzeuge auf der steilen Straße vorbei, aber irgendwie wirkt hier alles so aufgeräumt, so geordnet und sortiert. Wege winden sich am Hang entlang, treffen sich, um dann wieder hinter einem Strauch zu verschwinden. Überall blüht es und der Wind verbreitet fremde Düfte. Ich brauche Zeit zum Ankommen, zum Runterkommen und vielleicht auch zum Umschalten. Erst jetzt erkenne ich, wie liebevoll alles gestaltet ist und dass ich gerade eingeladen bin, wenigstens einen Teil dessen zu entdecken. Ich versuche erst gar nicht herauszubekommen, was das alles für wundervolle Gewächse sind, sondern nur, zu genießen. Alle Fotos auf dieser Seite kann man durch Anklicken vergrößern. Nur wenige Schritte und ich stehe an einem Teich, ringsum wild bewachsen, wie ich es aus den Tagen meiner Kindheit kenne. Nur diese dunklen Schilfkolben fehlen, mit denen wir damals spielten. Auf der Seite gegenüber wurden Terrassen angelegt, auf denen viele Kräuter nur so wuchern. Für Unkundige wie mich gibt es kleine Schilder, auf denen man sich informieren und nachlesen kann. Ich sehe zwar darauf, aber eigentlich gilt meine Neugier der Vielfalt von Formen, Farben und den vielen Details, wie die zahlreichen kleinen stahlblauen Käfer, die sich an einer bestimmten Pflanze zu sammeln scheinen. Nur wenige Schritte weiter entdecke ich eine rote Wunderblüte, die mir wie aus einem völlig fremden Universum vorkommt. Die Blüten locken mit unterschiedlichsten Farben sowie fantasievollen Formen und ganz ehrlich, hätte mir jemand diese Begeisterung vor ein paar Jahren prophezeit, ich hätte wohl nur mitleidig gelächelt. Ist das nun schon Weisheit oder die Gelassenheit im sich andeutenden Alter? Man muss nicht zwangsläufig wissen, wie das nächste Gewächs heißt oder wozu es imstande ist. Mir genügt es völlig, nach den nächsten drei Schritten wieder anzuhalten, um zu sehen. Der Sinn dieser kleinen Anlage scheint das Neuerlernen von Staunen und Entdecken zu sein. Wo man „normalerweise“ schnell vorbeidüst, bleibt man hier einfach stehen und kann sich Zeit nehmen. Viel Zeit; und plötzlich taucht man in eine kleine Welt der Wunder ein. Die leuchtet in gelb, lockt mit lila, verzaubert in violett und alles zusammen duftet wie im Garden Eden oder im „Gadda-Da-Vida“, wenn jetzt ein „eiserner Schmetterling“ singend geflattert käme. So ein kleiner gelber Falter, der sich in einen violetten Blütenkelch flüchtet, tut es aber auch. Es fühlt sich an, wie noch einmal Kind sein, wenn sich so ein kleiner brauner Käfer an einem Stängel entlang hangelt, ohne herunter zu fallen. Für einen Augenblick übermannt mich die Vorstellung, jetzt klein wie Däumling zu sein und in dieser Welt Abenteuer zu bestehen. Mit Rückkehrgarantie, versteht sich. Auf diese Weise bemerke ich auch nicht, wie ich mir Stück für Stück die unterschiedlichen Teile der Anlage „erobere“ und dabei Dinge sehe, die bisher für mich nicht so wichtig schienen. Das Zauberwort heißt Entschleunigung, langsamer werden, um dem Leben gegenüber der Rastlosigkeit viel mehr Räume zu erschließen. Wir können unser Dasein noch so sehr digitalisieren und es beschleunigen, der Puls allen biologischen Lebens wird immer dem schnöden Lauf von Sonne und Mond folgen. Wer das erfühlen möchte, sollte dem Kräutergarten in Altenau einen Besuch abstatten sowie etwas Zeit mitbringen. Mir fehlt inzwischen das Gefühl für Zeit und ein wenig auch für den Ort. Vor mir erhebt sich auf einem kleinen Hügel ein rundes Gebäude, einer asiatischen Pagode ähnlich. Im ersten Augenblick denke ich, dass die gar nicht hierhin gehört und bin verblüfft, hier im Harz diese Architektur zu sehen. Doch dann fühle ich, dass sich der Pavillon harmonisch der runden Gestaltung der Anlage anpasst. Alle Wege, die dorthin führen, sich schlängeln und kurvenreich durch das Miniatur-Kräuterreich winden, zeichnen sich durch weiche Formen aus. Mitten im Harz entsteht so, mit etwas Fantasie, das Gefühl, ganz woanders zu flanieren, Entfernungen zu ignorieren. Mir gefällt diese Illusion, sie tut mir gut und zum Glück sind die Wanderwege in der Anlage so natürlich belassen, wie man sie überall im Nationalpark Harz erlebt. Der kleine Pavillon ist also nur noch ein zusätzlicher magischer Tupfer im Gesamtkonzept, denke ich, und folge langsam dem weiteren Verlauf des Weges. Irgendwann bin ich wieder an meinem Ausgangspunkt angelangt, betrachte von einer Anhöhe einen Teil der kleinen und einzigartigen Parkanlage. Erst jetzt kann ich den kleinen Wasserfall im Steingarten entdecken, der mir bisher verborgen blieb. Der plätschert von ganz oben kommend über den steinigen Boden, wie ich es bei Wanderungen im Harz oft gesehen habe, und verschwindet dann als Bächlein in der fast zugewachsenen Steinanlage. Am Ausgang ist er nur noch ein kleines Rinnsaal. Alles sieht aus wie ein Stück Harz in Miniaturausgabe und doch ist es hier, vor allem wegen der vielen exotischen und fremden Gewächse, völlig anders. Eben eine kleine duftende und bunte Wunder-Welt für sich und eine Oase der inneren Einkehr ebenso. Nun machen sich doch langsam die Gelenke bemerkbar, die sich nach etwas Ruhe und Entspannung sehnen. Einer der Stühle im Eingangsbereich fängt meinen müden Körper auf. Mir ist nach Bockwurst oder Erbsensuppe oder beidem, aber Kukki’s nächste Gulaschkanone köchelt weit entfernt (im Osten) und hier ist (noch) keine Bedienung in Sicht. Diesen kleinen Kräuterpark auf der anderen Seite werde ich trotzdem wieder besuchen. Vielleicht im kommenden Frühjahr, wenn alle Pflanzen wieder frisches Grün ansetzen, wenn die Schatztruhen im Harz neu geöffnet werden und die Hexen durch die letzten Nebelschwaden des alten Winters zum Brocken reiten. Dann nehme ich mir auch frische Kräuter (als leckeren Likör) mit nach Hause, lege mir den „eisernen Schmetterling“ auf und lasse mich entführen.
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, zufälligen Begegnungen und Entdeckungen im Harz.